Kraft

Klang entsteht durch dynamische Impulse. Jeder Impuls erfordert mehr oder weniger Kraft.

Das Verhältnis von viel und wenig Kraft bestimmt unser Ausdrucksvermögen.
Gerät dieses Verhältnis in Ungleichgewicht, verlieren wir an Kraft.

Nach etwa zehn Jahren ausgiebiger Orchester- und Konzerttätigkeit entwickelte sich ab 2004 in meiner rechten Hand schleichend und ausbreitend eine Indisposition, die sich in nicht zu beeinflussenden Verkrampfungen der Finger bis zur schmerzvoll empfundenen Kraftlosigkeit äußerten.

Was folgte, waren drei wie endlos erlebte Jahre voller Ratlosigkeit und Frustration, in denen ich letztlich sogar schmerzlich erwog, meinen Beruf als Harfenistin aufzugeben, als mir die Diagnose „Fokale Dystonie“ gestellt wurde.

Sie gehören zu den etwa ein Prozent,

der von einer „fokalen Dystonie“ betroffenen Musiker, und fühlen sich von meiner Erfahrung angesprochen?

Geben Sie nicht auf! Informieren Sie sich ausgiebig über die neurowissenschaftlichen Hintergründe dieser komplizierten feinmotorischen Störung. Und: Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe dafür in Anspruch zu nehmen!

Das Bewusstwerden der eigenen Kraft hilft nicht nur im musikalischen Sinn.

Prof. Dr. med. Eckart Altenmüller vom „Institut für Musikphysiologie und Musiker-Medizin“ in Hannover www.immm.hmtm-hannover.de – stellte mir nicht nur die genannte Diagnose sondern vermittelte mir auch gleichzeitig überaus wertvolle Kontakte zu:

• Laurent Boullet www.pianophysiology.com – einem Pianisten und physiologisch arbeitenden Klavierpädagogen,
   der seine eigene Dystonie erfolgreich überwand.

• Joseph Quoidbach am Centre Médical du Trixhay, Lüttichwww.cmtsa.be – der speziell Musiker behandelt und dem
   es gelingt, deren Muskelverkrampfungen durch eine besondere und tiefgehende Massagetechnik zu lösen und neue Kräfte zu wecken.

• Gerrit van de Klashorst (verst. 2017), dem Gründer der Dispokinesewww.dispokinesis.com verweist auf die Methode und eine umfassende Therapeuten Liste

„Neben der Praxis und Lehre bezüglich Haltung, Atmung und Bewegung

umfasst die Dispokinesis die Erfahrungs-, Bewusstseins- und Denkprozesse hinsichtlich der Sing-, Spiel- und Ausdrucksfähigkeit des professionellen Musikers. Disposition – oder: „die Gewissheit, gut disponiert zu sein“ – wird als Freiheit zum musikalischen Ausdruck im körperlichen, seelischen und geistigen Sinne, insbesondere unter Auftrittsbedingungen, verstanden. Durch die Vermittlung ihrer Kenntnisse und Übungen möchte die Dispokinesis vorbeugend wirken… und den Musikern und Musikpädagogen ein Repertoire von Selbsthilfemöglichkeiten weitergeben. Bei schon bestehenden Beschwerden soll sie durch ihre selbständig durchführbaren Übungen die Unabhängigkeit der Musiker von Therapeuten und Ärzten vergrößern und altersunabhängig funktionelle Defizite auf verschiedenen Ebenen beseitigen.“
Quelle: www.wikipedia.de/dispokinesis

„Bitte üben Sie ab sofort nicht mehr!“

(Prof. E. Altenmüller, September 2007). Gut zwei Jahre beschäftigte ich mich intensiv sowohl mit der Physiologie und Psychologie des Musizierens im Allgemeinen als auch im Besonderen des Harfenspiels und beschloss damit meinen bisher traditionell verlaufenen Musikerberuf. Geradezu erleichtert folgte ich dem Rat des Facharztes: Ich löste mich von noch offenen Auftrittsverpflichtungen und gab das bisherige konventionelle Übemuster für etwa drei Monate komplett auf.

Krise als Chance für einen Neubeginn.

In meiner Lebensmitte wagte ich, meine bisherige Spieltechnik über Bord zu werfen und mit dem nahezu selbständigen Erlernen einer mir bis dahin völlig unbekannten Spieltechnik ganz neu zu beginnen. Die Anfänge dieser Methode erleichterte mir aus harfenistischer Perspektive Godelieve Schrama, ihr sei an dieser Stelle dafür herzlich gedankt.

Aufgrund meiner gesteigerten Achtsamkeit für eine physiologisch sinnvolle Handhaltung lernte ich, meine Hände und Finger an den Saiten völlig neu wahrzunehmen. Mit anderen Worten: Ich lernte an dem mir vertrauten und geliebten Instrument „das Laufen“ noch einmal ganz neu. Ganz gewiss wäre dieser Neubeginn nicht in dem Maße geglückt, hätte ich nicht einen völlig neuen Fokus des Musizierens kennen gelernt.

Klang ist Bewegung  Bewegung ist Klang.

Diese neue Technik verinnerlichte ich nicht um ihrer selbst willen, sondern auch und ganz besonders unter Einbeziehung außermusikalischer Impulse. Diesen begegnete ich im Fach „Rhythmik“, das die ständige Wechselwirkung zwischen Bewegung, Musik und Sprache beinhaltet und sich mir auf faszinierende Art eröffnete. Mit inzwischen frohem Herzen und großer Offenheit erfuhr, nein, „erlebte“ ich tatsächliche Inhalte und Anlässe für lebendiges Musizieren durch meine Weiterbildung zur „Rhythmikpädagogin“. www.bw-rhythmik.de

Inhaltliche Impulse bewirkten neue Kräfte. Ich entdeckte den instrumentalen Klangkörper.

• als Erweiterung des eigenen Körpers, der durch inhaltlich dosierte Kraftverhältnisse
  jeden gewünschten Ausdruck erfahren lassen kann,
• sowie die Überwindung zu bewegungsbezogenem Improvisationsspiel jenseits der Notation.

Mit großer Erleichterung und Freude spürte ich, wie ich durch diese Impulse und Erfahrungen sehr allmählich die krampfartigen Symptome zu überwinden begann. In einer Übergangszeit erlebte ich symptomfrei ausschließlich das freie, also ausdrücklich nicht das Spiel nach Noten. Nach und nach überwog schließlich (und endlich!!) die positive Kraft des inhaltlich bezogenen Musizierens, so dass ich mich heute wieder mit neu gefundener und selbst erarbeiteter Kraft jeglicher Literatur der Harfe widmen kann.

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